Giuseppe Lauria beim Verkosten

Giuseppe Lauria beim Verkosten

Der Barriquekeller von Château Rauzan Segla

Der Barriquekeller von Château Rauzan Segla

Der stylische Keller von Pichon Comtesse

Der stylische Keller von Pichon Comtesse

En Primeur in Bordeaux – wo die Zukunft großer Weine beginnt.

En Primeur in Bordeaux – wo die Zukunft großer Weine beginnt.

Bordeaux 2024 – “Singing in the rain”

Ein atlantischer Jahrgang

Der Jahrgang 2024 ist extrem heterogen, in dem sich wie selten zuvor die Spreu vom Weizen trennt. Dennoch wäre es ein großer Fehler, ihn einfach zu übersehen. Denn trotz der Herausforderungen gibt es viele spannende Weine, die so günstig wie seit Jahrzehnten nicht mehr zu haben sind. Bis zu 30 Prozent günstiger sind selbst die Premier Crus zu haben. Vor allem deshalb sollte man sich diesen „atlantischen“ Jahrgang genau anschauen. Er ist ein echtes Stock-Picking-Jahr, das zur Schnäppchenjagd einlädt.

Der Keller bei Pichon Comtesse

Der Keller bei Pichon Comtesse

Der Jahrgang stellte die Bordelaiser Winzer vor große Herausforderungen. Er brachte Rekordmengen an Regen, vor allem im Frühjahr und dann auch im Herbst: Rund 800 mm allein von November bis April. 50 Prozent mehr als im üblichen Jahresdurchschnitt. Während die vergangenen Jahrgänge von Trockenstress geprägt waren, kehrte sich dies 2024 ins Gegenteil um. Die Reben hatten oft nasse Füße. Das führte zu starkem Mehltaubefall. Einmal mehr standen der Pflanzenschutz und die Gesundheit der Reben im Vordergrund. 

Hinzu kam eine hohe Verrieselung während der Blüte (Coulure und Millerandage), die zu einer heterogenen Reife am Stock führte. „Ohne rigorose Selektion konnte man keinen guten Wein machen”, sagte mir Guillaume Pouthier, Weingutsdirektor von Les Carmes Haut-Brion bei meinem Besuch. Fabrice Bacquey von Phélan-Ségur ergänzt: „Ab Anfang September haben wir auf beiden Seiten entblättert, um sicherzustellen, dass die Trauben richtig ausreifen und um Botrytis zu vermeiden.

Château Smith Haut Lafitte

Château Smith Haut Lafitte

Starke Nerven, exzellentes Terroir und Manpower

Starke Nerven, Geduld und hohe Risikobereitschaft waren Trumpf. Natürlich auch exzellentes Terroir und Manpower. Man musste sehr geduldig auf die Reife warten – bei gleichzeitiger Botrytis-Gefahr. 

Auch am Rechten Ufer ging es ums Thema bestmögliche Ausreifung: Grandseigneur Jacques Thienpont vom Ikonen-Weingut Le Pin fasste es so zusammen: „Unser Ziel war es, die bestmögliche Ausreifung der Trauben zu erreichen.“ 

Für Christian Moueix, dem am Rechten Ufer klangvolle Juwelen wie Lafleur-Pétrus und Trotanoy gehören, war es ein schwieriges Jahr. „Bei den klimatischen Bedingungen brauchten wir starke Nerven, um die Reifung der Trauben abzuwarten und mussten bei der Weinlese äußerst selektiv vorgehen. So haben wir in Pomerol zwei Weinberge, Château Hosanna und Château La Grave Pomerol, komplett deklassiert und nicht abgefüllt“, sagte er mir. Im Interview hob er dann aber doch die Frische und die Trinkanimation sowie die moderaten Alkoholwerte hervor. „Ein Jahrgang, der früh Spaß machen wird.“ 

Das vollständige Videointerview ist in Kürze auf www.finewineguide.de sowie auf meinem Instagram-Profil abrufbar.

Jacques Thienpont vom Ikonen-Weingut Le Pin

Jacques Thienpont vom Ikonen-Weingut Le Pin

Doch dank der warmen und trockenen Monate Juli und August sowie einer sehr strengen Selektion erst am Stock und dann auf den Sortiertischen konnte vielerorts – um den Preis niedriger Erträge – das Blatt noch gewendet werden. Allerdings gibt es von Château zu Château dramatische Unterschiede, was beim Verkosten viel Aufmerksamkeit erforderte. Selbst bei großen Namen. 

Das ist auch der größte Unterschied zu den extrem wollüstigen Jahrgängen 2023 und 2022, bei denen man fast alles blind kaufen konnte. 2024 ist dagegen ein Stock-Picking-Jahr. Denn Winzer und Terroir spielen eine entscheidende Rolle. Der Mehltaubefall und die Verrieselung betrafen fast alle Weingüter, vor allem die anfälligere Sorte Merlot.

Entsprechend ist der Cabernet-Anteil – am Linken Ufer Cabernet Sauvignon und am Rechten Ufer Cabernet Franc – deutlich höher als im Durchschnitt.So liegt er beim Grand Vin von Château Montrose bei 80 Prozent und bei Château Latour bei rund 95 Prozent, was äußerst selten ist.

Die Direktorin des Weinguts Château Latour, Hélène Génin, mit der ich eine ausgezeichnete Einzelverkostung einschließlich des mit 100 Punkten bewerteten Jahrgangs 2016 hatte, erzählte mir, wie schwierig es war, den Mehltaudruck nur mit biologischen Mitteln zu bekämpfen. Aber dank „sorgfältiger Sortierung und geringen Erträgen haben wir einen sehr guten und reifen Cabernet Sauvignon mit guter Konzentration“. 

Sie ist auch davon überzeugt, dass ihre 2024er-Weine hervorragend reifen werden. 

Das gesamte Videointerview mit ihr ist bald auf www.finewineguide.de sowie auf meinem Instragram-Kanal abrufbar.
 

Grandiose One-to-One-Verkostung mit Estate Director Hélène Génin auf Château Latour – u.a. mit einem grandiosen 2016er Latour

Grandiose One-to-One-Verkostung mit Estate Director Hélène Génin auf Château Latour – u.a. mit einem grandiosen 2016er Latour

Die Weine haben generell niedrige pH-Werte, also eine hohe Säure, und niedrige Alkoholwerte von 12,0 bis 13,0 Vol.-%. Die stützenden Tannine sind vorwiegend feinmaschig und poliert, oft sogar seidig. Ich finde sie besser als beim Jahrgang 2021, weswegen ich den aktuellen Jahrgang tendenziell höher einschätze. Die Frucht ist verspielt und zeigt oft rotbeerige Duftigkeit und Frische. Das sind ganz klar die Wesensmerkmale und Vorzüge des Jahrgangs. Oft ist zu lesen, die Weine seien schlank und charmant. Ich finde, das ist etwas zu verkürzt dargestellt. Sicher, es war ein „kühleres” Jahr, und ja, es gibt dünn wirkende Weine. 

Es gibt aber auch viele dichtgewobene Weine mit betörender Extraktfülle, wie etwa der Grand Vin von Château Latour, Haut-Brion, Pontet-Canet, Lynch-Bages oder Les Carmes Haut-Brion – und das bei moderaten Alkoholgradationen. Wer streng selektionierte und aufgrund des gut drainierenden Terroirs die Lese hinauszögern konnte, wurde mit fast reifen Trauben belohnt. Julien Barthe vom Château Beau-Séjour Bécot berichtete, dass der Merlot noch nie so spät geerntet wurde wie in diesem Jahr, um die bestmögliche Reife zu erreichen. Dies war unisono zu hören. Der Schlüssel zum Jahrgang 2024 lag für viele darin, Risiken einzugehen, um eine gute Ausreifung zu erreichen.

Die besten Weine zeigen eine saftige Aromatik, eine gute Trinkanimation und eine charmante Zugänglichkeit sowie oft eine seidige Tanninstruktur. Die Konzentration ist eher im mittleren Bereich. Fabien Teitgen, Technischer Direktor von Smith Haut Lafitte sagte dazu: „Man musste sehr sanft extrahieren.“

Es war ein insgesamt klassisches Jahr mit hoher Trinkfreude, Finesse und Charme. Weine für den frühen Genuss. Oft war zu hören: „Ein Jahrgang, der zum aktuellen Marktumfeld passt.“ Nach den opulenten Jahrgängen 2022 und 2023 ist dies eine erfrischende Abwechslung, die auch erschwinglich sein dürfte. 

Fabien Teitgen, Technischer Direktor von Smith Haut Lafitte

Fabien Teitgen, Technischer Direktor von Smith Haut Lafitte

Matthieu Cuvelier von Clos Fourtet sieht sogar Vorzüge in der Komplexität des Jahrgangs: „Letztendlich freuen wir uns über diesen Jahrgang, weil nicht das Klima den Wein bestimmt. Der 2024er Bordeaux ist ein Jahrgang, der unsere wahre Identität durch unser Kalkstein-Terroir zum Ausdruck bringt.“

Starke Weiß- und edelsüße Weine

Die Weine aus Sauternes und Barsac

Die Weine aus Sauternes und Barsac

Das kühlere Jahr brachte großartige Weiß- und Süßweine hervor. Selten hatte ich so viele gute Weißweine im Glas. Entsprechend gibt es einige Weine mit 95 Punkten. An erster Stelle steht für mich der weiße Haut-Brion mit sogar 96/100, dicht gefolgt von Mouton Rothschilds Aile d’Argent (einer der besten, den ich bisher verkostet habe), Smith Haut Lafitte, Pavillon Blanc, La Mission Blanc, Pape Clément Blanc und Cos d’Estournel Blanc.

Das Besondere an Bordeaux: Diese Weine tendieren von weit unter 100 Euro bis hin zum sehr teuren und raren Haut Brion Blanc, der auch mal locker über 600 Euro kosten kann. Es sind sehr klar umrissene, mineralisch geprägte Weine mit guter Energie und Rasse. Das gilt auch für die besten Süßweine. Wer sich ein Bild davon machen möchte, mit welchem betörenden Spiel und welcher Präzision diese Weine aus Sauternes und Barsac bezirzen, sollte die magischen Weine von Coutet, Guiraud, Suduiraut oder Lafaurie Peyraguey probieren.

Château Coutet überzeugte in diesem Jahr mit dem für mich besten Weißwein

Château Coutet überzeugte in diesem Jahr mit dem für mich besten Weißwein

Preise und Kampagne

Die Châteaux wollten alles tun, um die Schwelle zur Subskription niedrig zu halten. Das war ebenfalls überall zu hören. Vor Ort interviewte ich den neuen Präsidenten der Union des Grands Crus de Bordeaux (UGCB) und Miteigentümer von Branaire-Ducru, François-Xavier Maroteaux: „Wir werden sehr kompetitive Preise sehen“ (siehe Interview auf Instagram). Sein Branaire-Ducru kam mit einem Preis von 26,50 Euro Flasche (ex-Négociant) daher. Dies entspricht einem Abschlag von fast 18 Prozent gegenüber dem Ausgabepreis 2023. Er ist so günstig wie seit 2013 (außer 2021) nicht mehr.

Giuseppe Lauria bei Pontet Canet

Giuseppe Lauria bei Pontet Canet

2024 hat es natürlich nach den großen Vorjahresjahrgängen wie 2022 und 2023 nicht leicht. Er könnte seinen Platz als eher früh trinkfertiges und preiswertes Jahr finden, nicht unbedingt zum langen Einkellern, wobei ich die Trinkfenster auch nicht zu kurz sehe.

Die Menge ist klein und wie von vielen Château-Besitzern angekündigt, werden die Weine größtenteils zu dramatisch reduzierten Preisen angeboten. Für die ausgezeichnet bewerteten Weine stellt das einen attraktiven Einstieg dar. 

Pontet Canet gab wie so oft den Takt vor und kam mit 50 € ex Château sowie 60 € ex-Négociant raus. Das sind 10 Prozent weniger gegenüber 2023 und sogar 33 Prozent gegenüber dem 2022er. Für viele war das aber zu teuer. Aber dann kamen von anderen Châteaux deutlich stärkere Abschläge

Dennoch bleibt die Herausforderung bestehen: Der Markt bietet bereits trinkfertige Weine zu ähnlichen oder sogar günstigeren Preisen. 

Hinzu kommen die allgemeinen Belastungsfaktoren, wie der rückläufige Konsum, die unsichere Weltwirtschaft sowie Veränderungen im Konsumverhalten, insbesondere bei der jüngeren Generation, die multi-optionaler ist und tendenziell nicht im gleichen Umfang subskribiert wie die Generation ihrer Eltern.

Château Lafite-Rothschild und Cheval Blanc mit einem Abschlag von 30 Prozent gegenüber 2023

Von den Premier-Cru-Ikonen überraschte als Erstes Château Lafite – und zwar mit einem Abschlag von 30 Prozent unter dem Ausgabepreis des Jahrgangs 2023 und sogar 52 Prozent unter dem des Jahrgangs 2022. Château Lafite-Rothschild hat den En-Primeur-Preis für den Jahrgang 2024 mit 288 Euro (ex-Négociant, dem Großhändler am Place de la Bordeaux) bekannt gegeben. Er liegt damit auf der Höhe von 2014 und mehr als die Hälfte unter dem Traumjahrgang 2022.

Laut ersten Angeboten wird der Wein für Privatkunden in Deutschland und Österreich in der Subskription für rund 400 Euro zu haben sein. Der Preis ab Großhändler Bordeaux wird traditionell ohne Umsatzsteuer angegeben.

Nach Einschätzung von Analysten der Londoner Handelsplattform Liv-ex ist dies derzeit mit Abstand der günstigste Lafite-Jahrgang. Danach folgten Angélus und Cheval Blanc – auch sie haben ihre Preise im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent gesenkt und sind damit zu Preisen zurückgekehrt, wie sie seit mindestens einem Jahrzehnt nicht mehr erzielt wurden.

In die Tiefe gehende Verkostungsnotizen und unabhängige, nachvollziehbare Bewertungen bilden die Basis jeder Empfehlung

In die Tiefe gehende Verkostungsnotizen und unabhängige, nachvollziehbare Bewertungen bilden die Basis jeder Empfehlung

 Mouton Rotschild kam mit einem Abschlag von immerhin 25 Prozent. Mit 95-96/100 Punkten sind das allesamt ausgezeichnete Weine.

Auch Château Gruaud Larose veröffentlichte seinen Jahrgang 2024 mit 43,20 € pro Flasche (ex-Négociant) und damit zum niedrigsten Preis seit 2013. Das entspricht einem Preisnachlass von knapp 28 Prozent im Vergleich zu 2023.

Château Duhart-Milon 2024 wurde zum Preis von 45 € pro Flasche (ex-Négociant) freigegeben – ein Rückgang um rund 19 Prozent im Vergleich zu 2023. Laut Liv-ex haben die Weine nach der Bekanntgabe des Preises aber bislang nur sehr wenig Nachfrage erzeugt, da der Jahrgang im Vergleich zu günstigeren, höher bewerteten Jahrgängen kein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet.

Giuseppe Lauria mit einer Methusalem Flasche von Château Lafite-Rothschild

Giuseppe Lauria mit einer Methusalem Flasche von Château Lafite-Rothschild

Aus dem Handel höre ich, dass die Kampagne sehr schleppend anfing, aber zuletzt anzog. Peer Pfeiffer, Exportleiter von Borie Manoux, erwartet eine schnelle Kampagne. „Es wird gekauft, was gekauft werden muss, weil es schon weiterverkauft wurde“, erzählte er mir schon vor Ort während der Primeurs, was er jetzt noch einmal bestätigte.

Robert Parkers Wine Advocate hat insgesamt sehr niedrig bewertet, so etwa Château Lafite 2024 mit nur 91 bis 94 Punkten, auch andere wie Neil Martin von Vinous lagen im Schnitt nur etwas höher, bewerteten aber insgesamt eher zurückhaltend. Andere wiederum haben teilweise absurd hohe Punkte gegeben, die aber im Markt und selbst bei Händlern eher zu Kopfschütteln führen, weil sie dem Jahrgang nicht gerecht werden.

Giuseppes Kaufempfehlungen und Best-Buys gibt es für Abonnenten.

Giuseppes Kaufempfehlungen sowie die Best-Buys erhalten sie als Abonnent. Zudem haben Sie Zugang zu den vor Ort exklusiv geführten Interviews mit Jacques Thienpont (Le Pin), Christian Moueix (z.B. Château Trotanoy, Château Lafleur, Petrus) und Hélène Génin (Château Latour). 

➜ Die Verkostungsnotizen finden Sie als Abonnent in unserer brandneuen Datenbank mit optimierter Suchfunktion.